Irakischer Archäologe: USA haben Tausende unersetzlicher irakischer Kulturschätze gestohlen

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Der irakische Archäologe und Architekt Ihsan Fathi zeigte sich gegenüber RussiaToday überzeugt, zu den schwerwiegendsten Folgen des nunmehr seit zehn Jahren anhaltenden Krieges im Irak gehöre die Zerstörung des jahrtausendealten kulturellen Erbes des Landes.

Neben den Tausenden während des Krieges gestohlener oder auf andere Weise illegal angeeigneter kultureller Schätze seien Werte in Milliardenhöhe aus »der irakischen Zentralbank ohne jegliche schriftliche Dokumentation in die USA« geschafft worden. »Ich bin sicher, dass alles was in der Zentralbank und anderen Banken aufbewahrt war, ohne jegliche Dokumentation in die USA gebracht wurde und dort bis heute in Archiven gelagert wird. Darunter befinden sich große Mengen an Dokumenten mit enormer historischer Bedeutung, deren Wert in Geld nicht zu bestimmen ist, die die USA an sich genommen haben.«

 Bisher sind alle Versuche der irakischen Regierung, diese gestohlenen Schätze wieder ausgehändigt zu bekommen, gescheitert. »Die irakische Regierung hat versucht, sie wieder zurückzubekommen, aber die amerikanische Regierung schlug einen Handel vor und hat nur die Hälfte der Dokumente zurückgegeben«, erklärte Fathi.

 Allein aus dem irakischen Nationalmuseum sind seinen Schätzungen zufolge »etwa 35.000 kleinere und größere Gegenstände verschwunden… Das irakische Museum wurde vor den Augen der Besatzer ausgeplündert. Die Plünderungen dauerten drei Tage, ohne dass die Besatzungskräfte eingeschritten wären«. Auch in Städten wie Babylon wurde Monumente und Kunstgegenstände zerstört, nachdem die polnischen Soldaten die Kontrolle über das Gebiet übernommen und »schweres gepanzertes Gerät, Panzer und Hubschrauber« für »die Errichtung ihrer militärischen Infrastruktur einsetzten … dabei beschädigten sie viele historisch einmalige archäologische Relikte in der Region«.

 Hier nun das ausführliche Interview:

 Sie mussten die Plünderungen und Zerstörungen des irakischen Kulturerbes mit eigenen Augen ansehen. Jeder weiß, was nach der Besetzung durch die Amerikaner im Irak geschah. Wie wirkten und wirken sich diese ganzen Geschehnisse auf die irakische Kultur aus?

Ihsan Fathi: Wie Ihnen sicher bekannt ist, gehört die Region, die heute den Irak bildet, zu den wichtigsten Ursprüngen der menschlichen Zivilisation. Einige historische Monumente und Stätten sind mehr als 10.000 Jahre alt. Und jeder hier ist überzeugt, dass der Irak für die Bewahrung dieses kulturellen Erbes verantwortlich ist. Aber leider steht der Irak heute an der Spitze der Länder, was die Zerstörung historischer Stätten angeht. Die ersten Zerstörungen erfolgten bereits 1258 im Zuge des Einfalls der Mongolen und setzen sich ungebrochen bis zur Besetzung 1991 fort, als die Amerikaner die Vorstädte von Hilla erreichten. Viele der Museen der Stadt wurden geplündert, und die amerikanischen Streitkräfte unternahmen nichts, um das zu verhindern. Aber bei der Invasion 2003 waren die Schäden noch gravierender. Ich will jetzt nicht auf die Hintergründe des Krieges eingehen – ob man unser Land befreien oder besetzen wollte. Es überrascht mich aber, dass viele Intellektuelle sich bis heute weigern, diesen Einmarsch als Besetzung zu bezeichnen. In der Resolution des UN-Sicherheitsrats 1483, die am 22. Mai 2003 verabschiedet wurde, werden die internationalen Militäreinheiten im Irak als »Besatzungsmächte« bezeichnet. Dies war der offizielle Status der internationalen Koalitionsstreitmacht. Es handelte sich um eine Besetzung.

 Vor der Besetzung hatten einige internationale Organisationen, darunter auch diejenigen, die für den Schutz und Erhalt der archäologischen Stätten verantwortlich waren, die USA und die Regierung unter Präsident George W. Bush darüber informiert, dass sich das kulturelle und geschichtliche Erbe aufgrund der jüngsten Entwicklungen in einem beklagenswerten Zustand befinde. Unter den Beratern Präsident Bushs in kulturellen Fragen befanden sich vier Experten, die deutlich machten, dass der Schutz der historischen Kulturgüter des Iraks hohe Priorität genießen sollte.

 Dennoch haben die USA die Plünderung und Zerstörung einzigartiger irakischer Kulturgüter zugelassen oder vielleicht sogar angestachelt. Ein genauer Überblick ist vielleicht nur schwer zu gewinnen, aber können Sie uns ungefähr sagen, wie viele historische Stätten geplündert und/oder beschädigt wurden?

Ihsan Fathi: Diese Frage wird immer wieder gestellt, und für mich liegt die Antwort auf der Hand. Die Personen, die für die irakischen Museen verantwortlich waren, hatten keine detaillierten Verzeichnisse oder Kataloge zur Verfügung, in denen alle kulturellen und historischen Monumente oder Gegenstände aufgeführt wären. Dies gilt insbesondere für das irakische Nationalmuseum in Bagdad, das als eines der weltweit größten und wichtigsten Museen gilt. In den Museen sollte zwar alljährlich eine Bestandaufnahme stattfinden, aber leider wurden diese Inventuren entweder gar nicht oder nur unvollständig durchgeführt. Aus diesem Grunde kennen wir die genaue Anzahl der gestohlenen Kulturgegenstände nicht. Aber nach Schätzung einiger Experten könnten an die 35.000 kleine und größeree Objekte aus dem irakischen Nationalmuseum verschwunden sein.

 Und sie wurden bisher nicht zurückgegeben?

Ihsan Fathi: Zu unserem Leidwesen haben wir bisher nur eine kleine Zahl von ihnen zurückerhalten. Im Zuge gewaltsamer Konflikte und dem damit verbundenen allgemeinen Chaos kommt es immer wieder vor, dass wertvolle Kunst- und Kulturgegenstände gestohlen werden. Und die Erfahrung lehrt, dass in der Regel bestenfalls zehn Prozent dieser Objekte wieder zurückgegeben werden.

 Man sagt, dem früheren Regime sei besonders an seltenen Kunst- und Kulturgegenständen aus Gold, die besondere Bedeutung besaßen, und insbesondere Goldbarren gelegen gewesen. Wurden diese wertvollen Stücke ebenfalls gestohlen?

Ihsan Fathi: Eine große Zahl goldener antiker Gegenstände und Goldbarren wurden in einigen Palästen des früheren Präsidenten aufbewahrt. Dieses Gold wurde veruntreut. Die irakischen Behörden konnten nicht ermitteln, wie viele antike Objekte gestohlen worden waren. Zusätzlich verschwanden ebenfalls große Mengen der Währungsreserven. Die Zentralbank des Landes und andere Banken bewahrten Milliarden von Dollar auf, aber alle diese Gelder wurde ohne jegliche Dokumentation in die USA geschafft.

 Aber diese Vorgehensweise beschränkte sich nicht nur auf wertvolle Objekte. Es wurden zugleich auch tonnenweise historische Dokumente außer Landes gebracht, die die Geschichte des Iraks widerspiegeln. Den Wert dieser Dokumente kann man in Geld überhaupt nicht erfassen. Das ganze Gold ist nichts im Vergleich mit diesen historischen Dokumenten, die sich nun in irgendwelchen amerikanischen Archiven befinden. Die irakische Regierung hat wiederholt auf die Rückgabe dieser Dokumente gedrängt, aber die Amerikaner schlugen einen Handel vor und boten an, die Hälfte der Dokumente zurückzugeben. Als Grund führten sie an, sie seien noch dabei, zu versuchen, die Dokumente aus dem Präsidentenpalast und den irakischen Sonderarchiven wiederherzustellen, aber niemand kennt die Wahrheit.

 Viele Dokumente aus dem Außenministerium und den Sicherheitsdiensten wurden von Adnan Makiya mithilfe der Besatzungsbehörden in die USA gebracht. Dort sollten sie angeblich der Iraq Memory Foundation übergeben werden. [Die Iraq Memory Foundation ist ein Dokumentationszentrum in Washington, das 1991 gegründet wurde und die »Gräueltaten der Baath-Bewegung dokumentieren« soll.] Diese Operation wurde schon lange vor dem Krieg geplant. Uns liegen Informationen vor, nach denen diese Dokumente an eine amerikanische Universität verkauft wurden. So etwas darf eigentlich nicht passieren.

 Trifft es zu, dass sich unter den verschwundenen Dokumenten auch einige wertvolle jüdische Handschriften befinden, darunter eines der ältesten Exemplare der Tora, das sich nun angeblich in Israel befinden soll?

Ihsan Fathi: Ja, einige dieser Dokumente aus den gestohlenen Archiven gehören der jüdischen Gemeinde im Irak. Einige dieser jahrhundertealten Handschriften befinden sich nun in den USA. Nach den geltenden völkerrechtlichen Bestimmungen haben die Besatzungsbehörden nicht das Recht, sich lokale kulturelle und materielle Güter anzueignen und außer Landes zu schaffen. Sie sind im Gegenteil aufgefordert, sie zu schützen und zu erhalten. Der Irak muss auf seinem Recht bestehen, alle illegal ins Ausland geschafften Gegenstände zurückzuerhalten. Dies gilt unabhängig von ihrer Größe.

 Dem Irak wurden zahlreiche wertvolle Gegenstände seines kulturellen Erbes mit Duldung der Besatzungsbehörden gestohlen. Aber ist es andererseits nicht so, dass die irakische Gesellschaft angesichts ihres heutigen kulturellen Zustandes möglicherweise überhaupt nicht in der Lage ist, das bedeutende historische und kulturelle Erbe des Iraks angemessen zu bewahren?

 Ihsan Fathi: Das ist sicherlich ein Problem. Meiner Ansicht nach sollte man nicht nur die irakische Bevölkerung allgemein, sondern auch die Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Organisationen dafür verantwortlich machen, dass nicht die notwendigen Schritte unternommen wurden und werden, das großartige kulturelle Erbe des Iraks zu bewahren. Selbst die Archäologen haben nichts unternommen.

 Aber als die amerikanische Besatzung endete, traten interessanterweise einige der Berater Bushs mit der Begründung zurück, die USA und die anderen an der Besetzung beteiligten Länder hätten nichts unternommen, um die historischen Stätten des Iraks zu schützen. Es seien lediglich Objekte wie das Erdölministerium und andere Einrichtungen, die aus Sicht der amerikanischen Besatzungskräfte strategische Bedeutung besaßen, geschützt worden. Die Amerikaner selbst räumten ein, dass sie für die Beschädigung und Zerstörung archäologischer Stätten, insbesondere in Babylon, verantwortlich seien. Diese Stadt wurde zuerst von den amerikanischen Streitkräften besetzt, die die Kontrolle später an polnische Einheiten übergaben.

 Einige Tausend polnische Soldaten hielten sich dort auf. Sie setzten schweres Gerät, Panzer und Hubschrauber ein. Sie begannen mit der Errichtung ihrer militärischen Infrastruktur. Im Zuge dieser Maßnahmen wurden viele einmalige archäologische Stätten in dieser Region schwer beschädigt. Später bot die amerikanische Besatzungsbehörde die lächerliche Summe von etwa 20 Mio. Dollar als Entschädigungszahlung an – für die Wiederherstellung zerstörter archäologischer Monumente und Stätten. Vor einigen Jahren sprach ich auf einer Konferenz in Paris einige hochrangige Vertreter des amerikanischen Außenministeriums darauf an und forderte, die USA müssten mindestens eine Milliarde Dollar für die Beseitigung der Schäden an den historischen Bauwerken des Iraks bereitstellen. Aber ich erhielt nie eine Antwort.

 In vielen Fällen ließen die Amerikaner die Plünderung unserer Museen »nur« tatenlos zu. Das Nationalmuseum wurde innerhalb von drei Tagen ausgeplündert. Die Amerikaner unternahmen nicht das Geringste, um die Ausstellungen zu sichern. Aus diesem Grunde sollten sie auch die volle Verantwortung dafür übernehmen.

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