Ausbeutung durch das Zinssystem

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(Quelle: http://fassadenkratzer.wordpress.com)

6. Dezember 2013

Ich kenne nicht alle sieben Weltwunder. Aber ich kenne das achte: den Zinseszins-Effekt.” (Bankier Maier A. Rothschild, zitiert nach Chr. Kreiß: Profitwahn, S. 117)

 Banken und Sparkassen werben immer wieder mit Sprüchen wie: „Lassen Sie Ihr Geld für Sie arbeiten“. Gemeint ist, dass sich das bei der Bank angelegte Geld unter anderem durch den Zinseszinseffekt vermehrt, so dass man ein Einkommen bezieht, ohne dafür selbst arbeiten zu müssen. Das Geld arbeite für den Besitzer. –  Aber Geld arbeitet natürlich nicht, es sind immer andere Menschen, die für den Zins arbeiten müssen. Wenn die Bank wahrheitsgemäß schriebe: „Lassen Sie andere Menschen für Sie arbeiten“, würde sie die Ausbeutung, der sie dient, allen bewusst machen. Damit lässt sich natürlich nicht werben.

1982 schaltete die (damals noch) gewerkschaftseigene „Bank für Gemeinwirtschaft“eine Anzeige mit der Überschrift: „Wie Sie zu Geld kommen, ohne einen Finger krumm zu machen.“ Ein Bild zeigte einen bequem auf der Couch liegenden, rauchenden Mann, der in den Telefonhörer sagte: „Was ich gerade mache? Ich verdiene Geld.“ Darunter stand: „BfG: Die Bank für Gemeinwirtschaft“. - Das ist geradezu zynisch. Eine gewerkschaftseigene Bank, angeblich der Gemeinwirtschaft, also dem Gemeinwohl verpflichtet, wirbt für ein Einkommen, für das man keinen Finger krumm machen muss, das aber  Arbeitnehmer, deren Interessen die Gewerkschaft zu vertreten vorgibt, irgendwo erarbeiten müssen. http://userpage.fu-berlin.de/roehrigw/creutz/geldsyndrom/kap6.htm

Ein bei einer Bank zu einem Nominalzins von 7 % angelegtes Kapital hat sich nach exakt elf Jahren verdoppelt. Nach 70 Jahren wird es auf das 106,5 – Fache angewachsen sein. Gibt jemand also z.B. 10.000 € zur Bank, hat er nach elf Jahren 20.000, und nach 70 Jahren besitzt er oder sein Erbe auf wundersame Weise 1.065.000 €. Die ursprünglichen 10.000 € haben sich um einen Gewinn von 1.055.000 € vermehrt, ohne dass er das Geringste dafür gearbeitet hat, alleine deswegen, weil ihm das Anfangskapital gehört, durch das er mit Hilfe von Zins und Zinseszins gleichsam die Macht hat, andere Menschen diesen Gewinn für sich erarbeiten zu lassen. (Vgl. Christian Kreiß, Profitwahn, Marburg 2013.)

Hier wird das Geld abseits seiner eigentlichen Funktion zur Ausbeutung Anderer missbraucht. Was ist die eigentliche

Funktion des Geldes?

Das Geld hat heute einen Entwicklungsgrad erreicht, in dem es keinen Eigenwert mehr besitzt, wie früher die Goldmünzen, die noch jeweils einen gleichwertigen „Gegenwert“ der Ware, also selbst noch eine universell eintauschbare Ware bildeten. Die heutigen Münzen und Banknoten dagegen haben nur einen sehr geringen Materialwert, auf den es auch gar nicht ankommt, und Giralgeld ist überhaupt nicht mehr materiell, sondern erscheint nur noch virtuell in Buchungsvorgängen. Geld soll daher rein „selbstlos“ den Warentausch vermitteln. Es schafft für die Waren einen strömenden Zirkulationsfluss, in dem der Wert einer verkauften Ware zahlenmäßig in Geld repräsentiert wird, das dann wieder gegen eine andere Ware eingetauscht werden kann. Geld ist seiner Funktion nach also selbst keine Ware mehr. Wird es als solche behandelt, scheidet es insoweit aus seiner eigentlichen selbstlosen Vermittlungs-Funktion aus und wird missbraucht.

Beim früheren reinen Gütertausch konnte man im Marktgeschehen eine Ware oder Dienstleistung nur erwerben, wenn man eine selbsterzeugte Ware oder eine eigene Dienstleistung dafür anbieten konnte. Denn der Leistung muss eine entsprechende Gegenleistung gegenüberstehen, wenn es gerecht zugehen soll. War die Ware einem Anderem gestohlen oder geraubt, war das Aneignung  ohne Gegenleistung, also Betrug.

Das Geld heute ist als Rechtsdokument eine Anweisung auf Waren und Dienstleistungen, das aber den Tausch nur dann gerecht vermittelt, wenn es ebenfalls durch selbst erzeugte Waren oder eigene Dienstleistungen, also durch Arbeit erworben worden istGeld ist also im volkswirtschaftlich-rechtlichen Sinne ein Leistungsnachweis für getane Arbeit, das dadurch gerechterweise einen Anspruch auf Gegenleistung gewährt. Nur sieht man diese Voraussetzung dem Geld selbst nicht an. Es bleibt auch dann eine gültige Anweisung auf die Produkte fremder Arbeit, wenn es ganz oder teilweise nicht durch eigene Arbeit erworben worden ist, Andere also betrogen wurden.

Dies ist beim heutigen Zinssystem der Fall. Das zur Bank gegebene Geld, das ja durchaus selbst erarbeitet sein kann, wird als Ware behandelt, für dessen Ausleihe ein Preis verlangt wird, der bald den nominellen „Wert“ der Ware in horrendem Maße übersteigt. Diesem Geld sieht man nicht an, dass es nicht selbst erarbeitet worden ist. Man kann es als Anweisung auf fremde Waren oder Dienstleistungen verwenden, ohne vorher selbst eine Gegenleistung in den Zirkulationsprozess eingebracht zu haben. Möglich macht diesen ungeheuren nicht verdienten Gewinn:

Der Zinseszinseffekt.

Besonders eindrucksvoll wird der Zinseszinseffekt durch die bekannte fiktive Geschichte von Joseph demonstriert. Angenommen, im Jahre 1 unserer Zeitrechnung hätten Josef und Maria vor ihrer Flucht nach Ägypten 1 Cent zu einem Zinssatz von 5 % bei einer Bank angelegt und heute käme ein Erbe mit dem Sparbuch zur Bank, um die Zinsen nachtragen zu lassen. Wieviel wäre das?

Heinrich Haussmann aus Nürnberg hat ausgerechnet, was im Laufe der Jahrhunderte aus diesem einen Cent geworden wäre: Im Jahre 296 ein Kilogramm Gold, im Jahre 438 eine Tonne Gold, in 1466 eine massive Goldkugel von der Größe des Planeten Erde, in 1749 eine Million Goldkugeln von der Größe unseres Planeten, in 1890 eine Milliarde solcher massiver Goldkugeln und im Jahre 2000 ganze 216 Milliarden erdgroße Kugeln aus Gold. (…) Wenn es aber nur die Zinsen von fünf Prozent gäbe, die nicht verzinst, sondern in einer zinsfreien Währung gutgeschrieben werden, hätten wir ein ganz anderes Ergebnis: Aus dem einen Cent wäre innerhalb von zweitausend Jahren ein einziger Euro geworden. Damit könnten wir leben.“http://www.wissensmanufaktur.net/fliessendes-geld

Hieran wird besonders drastisch die ungeheure Vermögenakkumulation deutlich, die dem Zinseszins rein funktional innewohnt. Er führt im Verlauf längerer Zeiträume über die Exponentialfunktion zu explosionsartigem Wachstum, das von keiner realen Wirtschaft gedeckt werden kann. Diese Wirkung wird auch in relativ kurzer Zeit dadurch erreicht, dass eine ganze Reihe von Superreichen ungeheure Geldvermögen anhäufen, die in ihrer Gesamtheit die realen Werte  übersteigen.

„Exponentiell wachsende Vermögen gleichen einer Bakterien- oder Vireninfektion. Bakterien und Viren wachsen im Körper vor Ausbruch der Krankheit eine gewisse Zeit exponentiell. Erst wenn eine gewisse biologische Schwelle erreicht ist, wird die Krankheit manifest und bricht auch äußerlich aus. Ähnlich verhält es sich bei Krebsgeschwüren. Dort vermehren sich einzelne Zellgruppen während gewisser Zeiträume exponentiell, bevor die Krankheit offen zutage tritt. (…) Ähnlich verhält es sich im sozialen Organismus. Die … ungehemmten und unbeschränkten – und daher in der Endphase krebsartigen Wachstumsmechanismen (…) laufen lange Zeit weitgehend unbemerkt unter der Oberfläche des sozialen Geschehens ab, nehmen im Zeitverlauf aufgrund der Exponentialfunktion eine immer größere Wucht an und brechen schließlich unübersehbar im sozialen Leben auf, wie es seit 2007 geschieht und weiter geschehen wird. (…) Solange man nicht die oben angesprochenen Ursachen bearbeitet, kann sich die derzeitige Krise nur verschlimmern.“ (Chr. Kreiß: Profitwahn, Marburg 2013, S. 27f.)

Wie die Prozesse konkret ablaufen, demonstriert Kreiß an Zahlen, die er einer Untersuchung von Helmut Creutz über Geldvermögen und Schulden in Deutschlandentnimmt. Geldvermögen und Schulden (bzw. Kredite) stehen sich ja spiegelbildlich gegenüber. In dem Maße, wie es das eine gibt, gibt es auch das andere. 1950 lagen die Schulden noch deutlich unter dem Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im Laufe der Jahre stiegen beide Größen exponentiell über das Wachstum des realen BIP hinaus, so dass 2010 die Geldvermögen 360 % und die Schulden 332 % vom BIP betrugen. Geldvermögen und Schulden wuchsen 5 mal so stark wie die Wirtschaftsleistung. Zwischen 1991 und 2007stiegen die Nettolöhne und -gehälter um 30 %, die Zinseinkommen auf Bankeinlagen dagegen um 111 % (Kreiß, S. 29, 30).

„Der Überanstieg der Geldvermögen insgesamt und diesen folgend auch der Verschuldungen, resultiert vor allem aus jener zins- und zinseszinsbedingten „Selbstalimentation der Geldvermögensbildung“, die von der Deutschen Bundesbank bereits 1993 auf 80% der Neuersparnisse geschätzt wurde. Dass solche sich exponentiell beschleunigenden Entwicklungsprozesse letztlich zusammenbrechen müssen, (…) dürfte einsichtig sein.“ http://www.helmut-creutz.de/pdf/grafiken/b/creutz_034-43.pdf

Allein die Staatsschulden betrugen zum 31.12.2012 in Deutschland (Bund, Länder und Gemeinden zusammen) 81,9 % des BIP, das sind 2.166,3 Milliarden Euro (HaushaltsSteuerung.de). Von 1970 bis 2010 sind die Staatsschulden um 2.013 Milliarden Euro ausgeweitet worden. Die in diesen 40 Jahren geleisteten Zinszahlungen betrugen 1.625 Mrd. €, was bedeutet,

dass die Neukreditaufnahmen zu 81% in den Zinsendienst geflossen sind und lediglich die Differenz zwischen beiden Beträgen, also 388 Mrd. €, dem Staat für Investitionen oder Personalausgaben zur Verfügung standen! Und dieser geringe Nutzen ist (…) nur dem Tatbestand der sinkenden Zinsen in den letzten 15 Jahren zu verdanken! Denn zieht man die Entwicklungen zwischen 1970 und 2000 heran, dann lag der Nutzen der ganzen Schuldenaufnahmen praktisch bei Null! (…) Der Nutzen der ganzen Aktion schlägt also nur bei jener Minderheit der Haushalte zu Buche, die dem Staat ihre Ersparnisse geliehen haben und an die jene vom Staat gezahlten Zinsen in Höhe von 1.625 Mrd. geflossen sind – auf Kosten aller anderen Bürger! Und da dieser zinsbedingte Umverteilungs-Mechanismus von der Mehrheit zur Minderheit ebenfalls für die vier Mal so hohen Schulden der Wirtschaft und der Privathaushalte gilt, erklärt sich auch die zunehmende Scherenöffnung zwischen Arm und Reich in unseren Gesellschaften.“ http://www.helmut-creutz.de/pdf/grafiken/b/creutz_048.pdf

Die Scherenöffnung zwischen Arm und Reich

Neben dem durch den Zinseszins erworbenen gibt es heute im Wesentlichen noch zwei weitere Formen arbeitslosen Einkommens: einmal die Bodenrente, also Miet- und Pachteinnahmen, die allein aufgrund des Eigentums an Grund und Boden bezogen werden, und zum anderen Unternehmensgewinne und Dividenden, die aus dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beansprucht werden. Alle drei zusammen bewirken eine permanente Vermögensverteilung von unten nach oben, von Arm nach Reich.

Die unteren 50 % der deutschen Haushalte, also gut 40 Mio. Menschen, hatten 2007  – unter Berücksichtigung der Schulden vor allem der unteren 10 % – netto praktisch kein Vermögen. Die oberen 20 % der Deutschen, also knapp 8 Mio. Menschen, besaßen gut 80 % des Gesamtvermögens. Diese Tendenz ist unentwegt steigend. Aus praktisch allen Vermögensarten geht mindestens eine der drei Formen von arbeitslosem Einkommen hervor. Der Sachverständigenrat der deutschen Wirtschaft bezifferte die bereinigte Höhe dieser ´Nicht-Arbeits-Einkommenszuflüsse´ für die Jahre 2006 bis 2008 auf durchschnittlich 27,9 % des Volkseinkommens bzw. 518 Mrd. pro Jahr.

Diese Zuflüsse werden von allen Einwohnern über die Preise mitfinanziert. Im Durchschnitt sind in den Preisen aller Produkte und Dienstleistungen, die in Deutschland gekauft werden, nach Berechnungen von Helmut Creutz brutto etwa 35 % Kapitalkosten enthalten, die aus einer der drei Formen arbeitslosen Einkommens stammen. Da auch die oberen 20 % Güter und Dienstleistungen kaufen, flossen netto 80 % von 518 Mrd. = 415 Mrd. pro Jahr ohne Arbeitsleistung an die wohlhabendsten 20 % der Bundesbürger. Man könnte diesen Zufluss mit Kreiß eine „Reichensteuer“ nennen: Die weniger wohlhabenden bis armen Haushalte zahlen über die Preise an die wohlhabendsten Haushalte einen Anteil von etwa 25 % des erwirtschafteten BIP, wofür diese keine Arbeit erbracht haben. (Vgl. Kreiß, S. 19 – 23.)

Konsequenzen

Um diesen ungeheuren Missbrauch des Geldes zugunsten weniger auszuschließen, müsste als erstes der Zinseszins wegen seiner sozialschädlichen Wirkung von den parlamentarischen Volksvertretern, wenn sie denn wirklich das Volk vertreten würden, per Gesetz verboten werden. Dann wäre schon die eine dunkle Quelle ungerechtfertigten arbeitslosen Einkommens versiegt. Für die aus der eigenen Arbeit stammenden Ersparnisse ist dagegen ein angemessener einfacher Zins gerechtfertigt, wenn sie als Kredit direkt oder indirekt über eine Bank dem Produktionsprozess für Investitionen zur Verfügung gestellt werden, gleichsam als Ausgleich dafür, dass der Sparer gegenwärtig auf die Früchte seiner Arbeit verzichtet und mit seinem Kredit den allgemeinen Interessen dient. (Vgl. auch Rudolf Steiner: Die Kernpunkte der sozialen Frage, Dornach 1961, S. 115, 116, 133.)

Dann müsste dafür gesorgt werden, dass auch die beiden anderen Formen erwerbslosen Einkommens gar nicht erst entstehen können: die Bodenrente und die aus dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beanspruchten Unternehmensgewinne. Privates Eigentum an Grund und Boden, das Nichteigentümer davon abhängig macht, woraus die Grundrente hervorgeht, wird es nicht geben können, sondern nur spezifische Nutzungsrechte, auf die jeder Mensch Anspruch hat. Dazu siehe grundsätzliche Überlegungen aufhttp://fassadenkratzer.wordpress.com/2013/11/08/soziale-auswirkungen-des-eigentums-an-grund-und-boden/).

Alleinige Verfügungsbefugnis über die Produktionsmittel wird der unternehmerisch Tätige brauchen, aber das bisherige unbegrenzte private Eigentumsrecht wird in ein sozialgebundenes, treuhänderisches Sondereigentum umgewandelt werden müssen, das keine privaten Gewinnentnahmen erlaubt. Anfängliche Gedanken in den vorangegangenen Artikelnhttp://fassadenkratzer.wordpress.com/2013/09/27/arbeitsmarkt-der-mensch-als-ware/ und http://fassadenkratzer.wordpress.com/2013/10/11/die-sozial-zerstorerische-wirkung-des-aktienrechts/ ).  (hl)