Es gibt Bewusstsein über den Tod hinaus ...

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Auszug aus dem Diskurs "Razors Edge" von Osho
Vor einigen Monaten war ich mit meinem Freund bei seinem sterbenden Vater. Sein Körper war fast am Ende. Es waren viele Menschen um ihn. Auf die meisten reagierte er gleichgültig, aber als alle weg waren, öffnete er plötzlich die Augen uns sagte zu uns: "Es fühlt sich an als hätte ich zwei Körper: Der eine ist krank, aber der andere ist völlig gesund." Wir sagten zu ihm: "Genauso ist es! Der gesunde Körper, das ist dein wahres Selbst; halte dich an ihn."
Er sagte: "Ja", und schloß die Augen, und während wir bei ihm saßen, veränderte sich die kranke Energie rund um das Krankenbett. Diese neue Energie war unglaublich - es war, wie wenn wir in deiner Gegenwart sitzen ... so eine wunderbare Stille.
Nachdem wir gegangen waren, erholte er sich für kurze Zeit, kehrte nach Hause zurück und starb dann friedlich in seinem Bett. Obwohl ich seit zehn Jahren bei dir bin, fühle ich mich so unwissend angesichts dieses Menschen, der bereit war, mit so großem Vertrauen und solcher Klarheit und solchem Frieden alles loszulassen.



Die Erfahrung, die du gemacht hast, ist immer möglich, wenn jemand stirbt. Alles, was man dazu braucht, ist ein wenig Aufmerksamkeit. Dieser sterbende Mensch war bewusst - und es bedarf keiner sehr großen Bewusstheit, um diese Erfahrung zu machen.

Im Augenblick des Todes fangen dein physischer und dein spiritueller Körper an, sich voneinander zu lösen. Normalerweise sind sie so eng miteinander verbunden, dass du ihre Getrenntheit nicht wahrnimmst. Aber im Augenblick des Todes, kurz vor Eintritt des Todes, fangen diese beiden Körper an, ihre gegenseitige Identifikation zu lösen. Von jetzt an werden sie verschiedene Wege gehen: Der physische Körper kehrt zu den physischen Elementen zurück, und der spirituelle Körper geht auf seine Pilgerreise weiter zur nächsten Geburt in einer neuen Form, in einem neuen Mutterschoß.

Wenn der Sterbende ein wenig aufmerksam ist, kann er es selbst wahrnehmen, und weil ihr zu ihm gesagt habt: "Der gesündere Körper, das bist du, und der kranke, sterbende Körper bist nicht du ..." In solchen Augenblicken fällt es leicht, zu vertrauen, denn es geschieht direkt vor den Augen der betreffenden Person. Er kann sich nicht länger mit dem zerfallenden Körper identifizieren, und die Tatsache, dass er der gesündere, der tiefere Körper ist, leuchtet ihm unmittelbar ein.

Aber ihr hättet diesem Mann noch ein Stück weiter helfen können - es war gut so, aber nicht gut genug. Allein schon seine Erfahrung, sich von der Identifikation mit dem physischen Körper zu lösen, veränderte sofort die Energie im Raum: Sie wurde still und friedlich. Wenn ihr aber die Kunst gelernt hättet, wie man einem Sterbenden helfen kann, hättet ihr an diesem Punkt nicht haltgemacht. Ihr hättet ihm eine zweite Sache unbedingt sagen sollen, denn er hatte Vertrauen - im Angesicht des Todes vertraut jeder.

Nur das Leben erzeugt Probleme und Zweifel und Aufschieben, aber beim Tod bleibt keine Zeit mehr, etwas aufzuschieben. Der Mensch kann nicht sagen: "Ich werde versuchen, es zu sehen", oder "Ich werde es morgen sehen." Er muss es jetzt sofort tun, in diesem Augenblick, denn selbst der nächste Augenblick ist ungewiss. Höchstwahrscheinlich wird er ihn nicht überleben. Und was hat er schon zu verlieren, wenn er vertraut? In jedem Fall wird ihm der Tod alles wegnehmen. Darum fehlt die Angst davor, zu vertrauen, und es fehlt die Zeit, darüber nachzudenken. Da ist nur das klare Erkennen, dass der physische Körper sich immer weiter entfernt.

Es war ein guter Schritt, ihm zu sagen: "Der gesündere Körper, das bist du." Der zweite Schritt wäre gewesen, ihm zu sagen: "Du bist derjenige, der beide Körper beobachtet. Der Körper, der stirbt, ist der physische, und der Körper, den du als gesund wahrnimmst, ist der psychische. Aber wer bist du? Du kannst beide Körper wahrnehmen ... also musst du etwas Drittes sein; du kannst nicht eins von diesen beiden sein." Das ist der ganze Prozess des bardo. Nur in Tibet hat man die Kunst des Sterbens so weit entwickelt. Während die ganze Welt versucht, die Kunst des Lebens zu entwickeln, hat Tibet als einziges Land der Welt die ganze Wissenschaft und Kunst des Sterbens entwickelt. Sie nennen es bardo.

Wenn ihr dem Manne gesagt hättet: "Es ist gut, dass du diesen Schritt gemacht hast; du bist aus dem physischen Körper heraus, aber jetzt bist du mit dem psychischen Körper identifiziert. Aber auch das bist nicht du; du bist nur Bewusstheit, die Wahrnehmungsinstanz ..." Wenn ihr diesem Mann hättet helfen können, zu verstehen, dass er weder dieser noch der andere Körper ist, sondern etwas Körperloses, Formloses, ein reines Bewusstsein - dann wäre sein Tod zu einem völlig anderen Phänomen geworden.

Ihr habt mitbekommen, wie sich die Energie veränderte. Dann hättet ihr noch eine weitere Energietransformation sehen können. Ihr habt gesehen wie die Stille sich herabsenkte; dann hättet ihr auch eine Art von Musik sehen können, eine Art von tanzender Energie, eine Art von Duft, der den ganzen Raum erfüllt. Auf dem Gesicht des Sterbenden wäre ein neues Phänomen zu sehen gewesen: Die Lichtaura.

Wenn er auch den zweiten Schritt vollzogen hätte, dann wäre dieser Tod sein letzter Tod gewesen. Im bardo nennen sie das "den großen Tod", denn danach wird man nicht mehr in einer neuen Form wiedergeboren, in einem neuen Gefängnis; dann geht man in die Ewigkeit ein, ins ozeanische Bewusstsein, welches das ganze Universum erfüllt.

Behaltet dies im Gedächtnis - viele von euch mögen in diese Situation kommen. Vielleicht werdet ihr einen Freund oder einen Verwandten, eure Mutter oder euren Vater beim Sterben begleiten. Helft ihnen, zwei Dinge zu erkennen. Erstens, dass sie nicht der physische Körper sind - und das ist für einen Sterbenden leicht zu erkennen. Und zweitens - was ein wenig schwieriger ist, aber wenn er das erste erkennen konnte, wird diese zweite Erkenntnis möglich sein: Er ist auch nicht dieser zweite Körper - er ist jenseits von beiden Körpern.
Er ist reine Freiheit und reines Bewusstsein.

Hätte der Vater deines Freundes auch den zweiten Schritt vollzogen, dann hättet ihr ein Wunder erleben können, das um ihn herum passiert wäre: nicht blos eine Stille, sondern etwas viel Lebendigeres, etwas, das der Ewigkeit, der Unsterblichkeit angehört.

Und alle Anwesenden wären von Dankbarkeit überwältigt gewesen, dass sein Tod keine Zeit für Trauer war, sondern zu einem Augenblick des Feierns wurde.

Wenn ihr ihren Tod in einen Augenblick des Feierns transformieren könnt, habt ihr eurem Freund, eurer Mutter, eurem Vater, eurem Bruder, eurer Frau, eurem Mann sehr geholfen. Dann habt ihr ihnen das größte Geschenk gemacht, das die Existenz bereithält. Und in der Nähe des Todes ist es sehr leicht.

Kinder machen sich keine Gedanken um Leben und Tod; es betrifft sie nicht. Die jüngeren Leute sind viel zu sehr beschäftigt mit biologischen Spielen, mit ihren Ambitionen, reicher zu werden, mehr Ansehen zu erlangen; sie haben keine Zeit, über ewige Fragen nachzudenken.

Aber im Angesicht des Todes, kurz bevor der Tod kommt, hat man keine Ambitionen mehr. Und ob man reich oder arm ist, macht keinen Unterschied; ob man ein Verbrecher oder ein Heiliger ist, macht keinen Unterschied. Der Tod führt euch jenseits aller Unterschiede des Lebens und jenseits aller dummen Spiele des Lebens.

Aber statt dem Sterbenden zu helfen, machen die Leute diesen wundervollen Augenblick zunichte. Er ist der kostbarste im ganzen Leben eines Menschen. Selbst wenn er hundert Jahre gelebt hätte, ist dies der kostbarste Augenblick.  Statt dessen fangen sie an zu weinen und zu jammern und Mitleid zu zeigen, und sie sagen: "Es ist der falsche Moment! Es sollte nicht sein!"
Oder sie fangen an, ihn zu trösten, und sagen: "Mach dir keine Sorgen, die Ärzte sagen, du wirst gerettet!"

Das ist alles töricht. Und selbst die Ärzte übernehmen ihren Part bei diesen Dummheiten. Sie sagen euch nicht, dass euer Tod bevorsteht. Sie vermeiden das Thema und machen euch weiter Hoffnung. Sie sagen: "Machen Sie sich keine Sorgen, sie werden es überleben", obwohl sie genau wissen, dass der Mensch sterben wird. Sie geben ihm falschen Trost und haben keine Ahnung, dass dies der Augenblick ist, in dem man einem Menschen seinen Tod vollkommen bewusst machen muss - so absolut wach und bewusst, dass er das reine Bewusstsein erfährt. Dies kann der Augenblick des großen Sieges werden. Dann gibt es für diesen Menschen keinen Tod mehr - nur noch das ewige Leben.


Quelle: OSHO.com