Bärbel Mohr ist tot
Ein Kommentar von Martin Frischknecht
Was für eine
Woche! Das US-amerikanische Wahlvolk legt seinem Präsidenten, der vor zwei
Jahren glanzvoll antrat, den Wandel zu bringen, schwere Steine in den Weg und
schickt eine Blockade-Mehrheit konservativer Widersacher ins Parlament. Bärbel
Mohr, die esoterische Bestseller-Autorin, die mit ihrem Ratgeber «Bestellungen
beim Universum» ein Millionenpublikum erreichte, verstirbt im Alter von 46
Jahren überraschend an Krebs. Und Ruediger Dahlke bespricht auf unserer Website
das neue Werk von Rhonda Byrne, die vor einigen Jahren mit «The Secret» eine
beispiellose Welle von Esoterikratgebern im Stile von «Denk dich glücklich und
reich!» lostrat.
«The Power», das in diesem Herbst veröffentlichte Werk,
unterbietet seinen Vorgänger noch an Einfalt und veranlasst unseren Rezensenten
zur Feststellung: «Rhonda Byrnes Weltbild ist wirklich einfach: Positiv sei
alles, was wir wollen und lieben, negativ alles, was wir nicht wollen und nicht
lieben. So leicht ist es! Darüber hinaus empfiehlt sie, alle negativen Worte aus
dem Vokabular zu streichen, kritische Gedanken sowieso und nur noch positiv zu
denken. Der Schatten lässt dann später grüßen.»
Mir geht die Nachricht
von Bärbel Mohrs Tod nahe. Ich habe die deutsche Autorin und Seminarleiterin
nicht persönlich gekannt. Nur einmal hatte ich das Vergnügen, einen kurzen Text
von ihr zu veröffentlichen. Ganz offensichtlich war sie ein Mensch von
ansteckender Lebensfreude. Sie vermochte mit ihrer weltoffenen
Experimentierfreude Millionen von Menschen für neue Inhalte und eine positive
Ausrichtung des Lebens zu begeistern. Und sie scheute sich nicht, das, was sie
propagierte, für alle sichtbar zu leben. Ihre Erfahrungen mit dem Bestellen und
Herbeiwünschen eines neuen Mannes teilte sie mit aller Welt, später lüftete sie
die Decke ihres Ehebettes und liess Ratsuchende an ihren erotischen Erfahrungen
teilhaben. Diese unbekümmerte Frische machte sie nahbar und glaubwürdig, damit
konnte sich ihre Leserschaft identifizieren.
Mit den Millionenauflagen
ihrer Bücher, mit deren zahlreichen Übersetzungen und mit ihrem enormen Erfolg
in Beruf und Privatleben bewies diese Frau, wie bei Ratgeber-Autoren und
Therapeuten so üblich, kraft des eigenen Lebens die Wahrheit ihrer Aussagen.
«Seht her! Wenn ihr es macht, wie ich es euch sage, seid ihr glücklich und
erfolgreich, wie ich es bin», schien sie mit jedem ihrer Auftritte zu verkünden.
Die Methode «Der Mensch ist die Botschaft» hat den Vorteil, dass wir alle selber
sehen, hören und am lebendigen Beispiel überprüfen können, ob einer auch
tatsächlich lebt, was er mit seinen Worten verbreitet.
Doch als es ihr
schlecht ging, ist sie verstummt. Über ihre Krankheit mochte sie weder schreiben
noch reden. Auf ihrer Website steht seit rund einem Jahr die lapidare
Mitteilung, Bärbel Mohr habe nach acht Jahren unermüdlichen Schaffens alle ihre
öffentlichen Verpflichtungen abgesagt. Sie brauche eine intensive Auszeit und
mache eine längere Pause. Heute wissen wir: Die Erfolgsautorin litt an Krebs und
rang mit dem Tod. Stumm und leise. Was sie in den letzten Monaten ihres Lebens
unmittelbar betraf, was sie im Innersten umtrieb, darüber hat sie geschwiegen.
Sie, die allseits begehrte Vortragsrednerin, Seminarleiterin und Autorin, die
Erfolgsfrau, der die Herzen von überall zuflogen, stand mit einem Mal ganz
alleine da und rang mit einem Geheimnis
Warum? Die Antwort ist so einfach
wie erschreckend: Bärbel Mohr schwieg, weil Krankheit in ihrem System drin einem
Versagen gleichkommt. Bist du krank? So bestell dir Gesundheit! Bist du immer
noch krank? Dann hast du falsch bestellt. Dann solltest du richtig wünschen, mit
ganzen Herzen musst du wünschen. Dann musst du dich tiefer selbst lieben, und du
musst mit jeder Zelle deines Körpers in Resonanz gehen zu Gesundheit und Glück.
Mach mal! Tue es richtig, tue es ganz! Stellt sich das erwünschte Ergebnis nicht
ein, so hast du es falsch getan.
Da die Propagandistin solchen Denkens
mit dem eigenen Leben dafür einsteht, dass es auch funktioniert, hat sie vor den
Leuten zu strahlen. Sie strahlt vor Erfolg, vor Glück und vor Gesundheit. Alles
andere in ihrem Leben wird ausgeblendet oder zumindest dem Publikum nicht
gezeigt. Würde die eigenen Zweifel, das eigene Versagen, würden kleine und
grössere Gebresten dem Publikum sichtbar gemacht, so wäre das zwar sehr
menschlich und überaus verständlich, hauptsächlich aber wäre es
geschäftsschädigend. Es würde den Wert der eigenen Botschaft in Frage stellen
und die Vermessenheit des umfassenden Anspruchs enthüllen, und das wäre schlecht
für den Absatz.
Habe ich damit gesagt, «Bestellungen beim Universum»,
«The Secret» und all die vielen Propagandaschriften zum Resonanzgesetz seien
unmenschlich? Allerdings. Aber ich sage es nicht als Anklage gegen die Damen und
Herren Verfasser, ich sage es aus Trauer um Bärbel Mohr. Zustimmung finden nur
so lange man strahlt und begeistert und sich nicht trauen, anderen auch
Schwierigkeiten und Schatten von sich zu zeigen, das ist traurig. Mir kommt es
vor, als habe sich da ein Mensch unter Beifall das eigene Gefängnis gemauert,
und gerade weil so viele zuschauten und applaudierten, gab es keinen Ausweg
mehr.
Was aber hat das mit den Parlamentswahlen in den USA zu tun? Mit
seiner gebetsmühlenhaft wiederholten Affirmation «Yes, we can» installierte sich
Barack Obama vor zwei Jahren unter Jubel zum obersten Positivdenker und
Gesundbeter seiner Nation. Obwohl das von den Medien sträflich vernachlässigt
wird, konnte der US-Präsident seitdem zwar keine Wunder, aber durchaus Erfolge
verzeichnen. Ende Woche wurden positive Zahlen aus dem US-Arbeitsmarkt bekannt.
Doch Tage zuvor wurde der Präsident vom Wahlvolk abgestraft. Ins Parlament
gewählt wurden Hinterwäldler und ultrakonservative Republikaner, lauter Leute,
die darauf eingeschworen sind, jeden Fortschritt in ihrem Land zu verhindern.
Als wären sie über den eigenen Mut erschrocken, buchstabieren die Amerikaner
zurück.
Geradezu schreiend sichtbar zeigt sich damit der Schatten der
Begeisterung und des hoffnungsvollen Aufbruchs von 2008. Schon damals, als der
neue Präsident gewählt wurde, bestand Anlass zur Befürchtung, der charismatische
Mann könnte einem Attentat zum Opfer fallen oder durch eine Intrige aus dem Amt
gemobbt werden. Doch Barack Obama lebt noch; im Verlaufe der weiteren Amtszeit
wird er nicht darum herumkommen, sich mit seinem politischen Gegenpol zu
beschäftigen und die Schatten, die er rief, zu integrieren. Wenn es für sein
Land noch Aussicht auf Erholung gibt, so wird der Prozess der Gesundung gerade
darin liegen, die beiden Pole zu umfassen und zu versöhnen.